Warum TikTok schon fast ein bisschen wie Surfen ist
Jenna Hinrichsen ist unsere Social Media Managerin und schon lange verantwortlich für unseren Auftritt auf Instagram und Facebook. Vor gut einem Jahr kam jetzt auch noch ein TikTok-Account hinzu. Wir wollten wissen, welche Erfahrungen sie bisher mit dieser Plattform gemacht hat und warum sich TikTok für ein Unternehmen wie ORION überhaupt lohnt.
Liebe Jenna, seit gut einem Jahr ist ORION jetzt schon auf TikTok vertreten. Wie kam es dazu, dass ihr diese Plattform auch noch mit ins Social Media Boot geholt habt?
Besonders reizvoll war natürlich, dass TikTok zurzeit absolut im Trend ist. Hier sind im Vergleich zu Facebook und Instagram noch sehr große Reichweiten realisierbar. Immerhin verbringen laut TikTok Nutzer:innen durchschnittlich 89 Minuten am Tag auf dieser Plattform und scrollen dementsprechend viele Videos durch…
Überzeugt hat uns aber auch die kompromisslose Authentizität der veröffentlichten Videos: Schließlich posten wir auf Instagram und Facebook schon lange ganz persönliche Beiträge zum Thema Aufklärung mit unseren Kolleg:innen. Diese Arbeit auf TikTok auszuweiten war einfach der nächste logische Schritt.
Was genau ist jetzt eigentlich TikTok und wo liegt der Unterschied zu Instagram und Facebook?
TikTok ist eine Plattform für Kurzvideos, deren Wurzeln auf die chinesische App Douyin zurückgehen, die 2016 von Bytedance veröffentlicht wurde. Ein Jahr später kam TikTok dann als Pendant zu der chinesischen App auf den Markt und fusionierte 2018 mit der Lyp-Sync-Plattform musical.ly.
Mit TikTok können User:innen kurze, selbstgedrehte Videos aufnehmen und sie auf Wunsch mit Musik unterlegen. Für die Gestaltung von kreativen Videos bietet die App eine Vielzahl an Effekten und Filtern an. Die hochgeladenen Videos werden anschließend durch den Algorithmus bewertet und mit den Interessen der Nutzer:innen „gematched“. So werden jeweils zu den Interessen passende Videos ausgespielt. Dieser durch den Algorithmus gesteuerter Feed ist auch der wesentliche Unterschied zu Facebook und Instagram: Bei denen liegt nämlich (zumindest bis jetzt) der Fokus stärker auf der Community und den Beiträgen von Freund:innen und anderen gefolgten Konten.
Bedeutet jetzt im Klartext: Man kann zwar auch auf TikTok anderen User:innen folgen und durch Kommentare oder Duette mit anderen interagieren – im Fokus der App stehen jedoch ganz klar die Videos und der News-Feed mit den Empfehlungen des Algorithmus. Die Follower-Anzahl ist auf TikTok dagegen nicht so wichtig, sondern vielmehr, dass man möglichst oft etwas postet, um möglichst schnell wieder auf die nächste virale Welle aufzuspringen – fast ein bisschen wie beim Surfen …
Ein weiterer wesentlicher Unterschied ist, dass es auf TikTok ausschließlich Video-Content gibt, während auf den anderen Plattformen auch andere Content-Arten möglich sind. Diese Videos sind schnell und der Content muss bereits in der ersten Sekunde überzeugen. Sonst wischen die Nutzer:innen direkt weiter und das war’s mit dem Post!
Wie sah euer erster Beitrag auf TikTok aus? Was war gut daran und was würdest du mit deinem Wissensstand heute ganz anders machen?
Unser allererster TikTok-Post war ein witziges Video, bei dem unser Lippenstift-Vibrator mit einem echten Lippenstift vertauscht wurde. Vorher hatten wir uns natürlich genau überlegt, was für ein Post wir da machen wollen und wen wir eigentlich damit erreichen wollen. Im Grunde haben wir TikTok dann aber schlicht und einfach erstmal ausprobiert.
Dieser „Testlauf“ war ein voller Erfolg: Unser Post sorgte für jede Menge Lacher und bescherte uns auf einen Schlag 320 000 Aufrufe. Ich würde heute also gar nichts groß anders machen. Natürlich werten wir die KPIs der Videos professionell aus und schauen anhand dieser, welche Formate wir beibehalten und welche wir nicht nochmal wiederholen. Es ist uns aber grund-sätzlich auch sehr wichtig, immer mal wieder ganz intuitiv was Neues auszuprobieren: mal unterschiedliche Video-Längen, mal Key-Facts zu ORION oder auch mal Lifehacks. Das macht unsere Posts nämlich einfach spannender und kreativer.
TikTok gilt ja generell als sehr jung und wurde lange als Spaß-Plattform gehandelt. Warum lohnt es sich dennoch für ORION hier einen Account zu haben? Und schaltet ihr auch Werbung dort?
TikTok ist gar nicht mehr soooo jung, wie viele denken. Wir erreichen tatsächlich eine ähnlich gelagerte Kernzielgruppe wie auf Instagram mit unseren Posts – nämlich User:innen im Alter von 20 – 30 Jahren. Bei Instagram setzt sich das Alter dann tendenziell nach oben fort – bei TikTok eher nach unten.
Eine reine Spaß-Plattform ist TikTok schon lange nicht mehr. Immer mehr Unternehmen entdecken die Plattform als Kanal, um eine jüngere Zielgruppe zu erreichen. Warum es sich jetzt genau für ORION gelohnt hat, bei TikTok einzusteigen? Zwei ganz wesentliche Punkte habe ich ja schon angesprochen: Der momentan noch relativ einfache Reichweiten-Aufbau im Vergleich zu anderen Kanälen und unsere Mission aufzuklären. Dazu ist dieses Format auch noch nahezu perfekt für charmante Brüche mit gesellschaftlichen Tabus und für einen möglichst persönlichen und menschlichen Blick hinter unsere Kulissen.
Was dabei aber immer anzumerken ist: All diese Branding-Effekte beruhen bei uns ausschließlich auf einer rein organischen Reichweite. Bezahlte Werbung ist zwar toll – für Unternehmen wie ORION aber kaum umsetzbar. Weder über Google noch auf den sozialen Plattformen. Denn Anzeigen für Toys, Gleitgel oder auch bestimmte Dessous sind gar nicht mehr oder nur noch sehr eingeschränkt erlaubt.
Woran das liegt? In den USA gab es die Initiative SESTA/FOSTA, die im Jahr 2018 zu der Verabschiedung eines neuen Gesetzes führte, welches der Unterbindung des sexuellen Menschenhandels im Internet dient. An für sich eine super Sache. Doch mit diesem Gesetz wurde der rechtliche Schutz von Internetseitenbetreibern bei Verstößen durch Dritte aufgehoben, weswegen die Plattformen verstärkt alle Inhalte zensieren, die sich mit Themen rund um Sexualität beschäftigen. Davon betroffen ist zum Teil das Thema Aufklärung – vor allem aber unsere Produkte.
Bedeutet für uns: Wir müssen ganz besonders kreativ sein und die Kund:innen durch andere Formate als bezahlte Anzeigen an uns binden. Und selbst bei organischen Inhalten müssen wir vorsichtig mit dem sein, was wir sagen oder zeigen. Daher zensieren wir auch so viele Wörter und Bilder, die auf den Plattformen möglicherweise gesperrt werden könnten. Aber, egal ob TikTok oder eine andere soziale Plattform: Wir lassen uns von den Restriktionen nicht unterkriegen und nehmen die Herausforderung an. Bisher klappt das ja auch ganz gut ;).
Könnt ihr für alle Plattformen die gleichen Inhalte nutzen oder gibt es da doch Unterschiede?
Auf Facebook und Instagram nutzen wir für unsere Posts tatsächlich häufiger den gleichen Content. Seit einiger Zeit setzt Instagram neben den klassischen Bilder-Kacheln immer mehr auf Reels. Und auch auf Facebook gewinnen die Kurzvideos an Popularität. Daher verwenden wir für beide Plattformen nun zusätzlich noch recycelte TikTok-Videos. Das funktioniert ganz hervorragend.
Natürlich bringt aber jede Plattform für sich eigene Möglichkeiten und Herausforderungen mit sich – das versuchen wir dann möglichst individuell umzusetzen.
Hat TikTok eigentlich auch Nachteile? Und wenn ja, wo liegen die?
Ein ganz wesentlicher Nachteil ist tatsächlich der Aufwand im Bereich Community-Management. Denn wenn ein Post bis zu 2,1 Millionen Aufrufe generiert, gibt es natürlich auch erheblich mehr Arbeit für uns – gerade in Hinblick auf die Kommentare. Aber das ist ehrlich gesagt schon Meckern auf hohem Niveau ;).
Welche Themen sind für ORION auf TikTok besonders erfolgreich? Und was läuft so gar nicht auf dieser Plattform? Gibt es da ein erkennbares Muster? Wann und wie geht ein TikTok Video viral?
Menschen folgen Menschen. Deshalb läuft alles super, was echt rüber-kommt und nah am Alltagsleben ist: Beispielsweise Lifehacks, die Tipps geben, wie so ein Analplug auch als Weinkorken aushelfen kann. Oder Aufklärungsthemen wie „Sex während der Periode“. Oder eben tabubrechende Fragen, wie „Was ist Polyamorie?“ oder „Stimmt es, dass es gar keine Jungfernhäutchen gibt?“.
Wie so häufig läuft professionell produzierter Content dagegen gar nicht auf TikTok –
egal, wie schön er auch ist. Dass haben beispielsweise auch Posts mit unserem ORION Unternehmensvideo unmissverständlich deutlich gemacht.
Wie sieht also Deiner Meinung nach eine langfristig gelungene Content-Strategie für TikTok aus? Wo liegen bei TikTok die größten Fallstricke?
Ich kann es nur immer wieder wiederholen: Bleib locker und authentisch. Hab Spaß an deinen Posts und trau dich ab und zu auch mal an ein Tabuthema ran. Auf produktbezogene Werbevideos solltest du möglichst verzichten. Sie bringen nämlich meist genau so wenig wie professionell produzierter Content. Gefragt ist also viel echter Inhalt, ohne zu viel über die eigenen Produkte zu reden… Eine wahre Herausforderung für viele Unternehmen. Uns fällt das jedoch an dieser Stelle leicht. Denn es gibt so viele Aufklärungsthemen, dass wir keine Schwierigkeiten haben, Ideen für neue Videos zu finden.
Es ist allgemein bekannt, dass TikTok Wörter, wie „LGBTQ“ und „schwul“ blockiert. Wie passt das zur diversen “Lieb doch, #wieDuwillst”-Einstellung von ORION? Gibt es Möglichkeiten, diese Restriktionen zu umgehen?
Es ist total schade, weil wir bei ORION ja eigentlich Tabus brechen und Scham abbauen wollen – aber wirkliche Möglichkeiten gibt es da leider nicht immer. Aber weil wir Restriktionen ja zur Genüge von anderen Plattformen gewöhnt sind, versuchen wir dennoch so gut es geht präsent zu sein, aufzuklären und Fragen zu beantworten. Das bedeutet für uns in der Praxis, dass wir zum Beispiel nie Orgasmus sagen, sondern Höhepunkt. Sex sagen wir auch nicht, sondern je nach Kontext eher Spaß im Bett oder KnickKnack oder so etwas. In puncto Bildmaterial zensieren wir außerdem sehr viel, damit unsere Videos nicht blockiert werden. Man kann wohl wirklich sagen, wir haben gelernt, besonders kreativ und flexibel zu arbeiten.
Ist TikTok Deiner Meinung nach noch länger das ganz große Ding oder wird in einem Jahr bald keiner mehr darüber sprechen? Warum?
Sicherlich wird es in regelmäßigen Abständen immer wieder neue spannende Apps geben. Einige davon werden sich vielleicht sogar so durchsetzen, dass sie im Mainstream ankommen.
Aber trotzdem glaube ich, dass gerade TikTok noch viele Jahre eine sehr spannende Plattform sein wird – und zwar sowohl für Creator:innen als auch für Unternehmen. Denn egal, ob Filter oder Sounds – die Plattform bietet sehr einfache Bearbeitungsmöglichkeiten, so dass wirklich JEDE:R mitmachen kann. Dazu wird TikTok häufig eine ganz andere Aufmerksamkeit beigemessen als anderen sozialen Plattformen. Denn die App erfordert nun mal eine aktive Nutzung und kann nicht so gut z.B. als Second Screen beim Fernsehen genutzt werden. Es wird also tatsächlich noch geguckt und nicht nur gecheckt – heutzutage eine echte Seltenheit. Mehr kann man sich heute für seine Inhalte wohl kaum wünschen…
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